„Der wechselseitige Wissenstransfer ist wichtig“
Professor Klaus Bengler, Inhaber des Lehrstuhls für Ergonomie an der TU München und Präsident der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft, über den Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft – und zwischen Menschen und Maschinen.
Herr Professor Bengler, warum brauchen Wissenschaft und Wirtschaft einander, um den Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt erfolgreich begegnen zu können?
Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist von enormer Innovationsgeschwindigkeit geprägt. Zugleich sehen wir in der Arbeitswissenschaft, dass bestimmte Grundprinzipien der menschlichen Informationsverarbeitung und Arbeitsgestaltung unabhängig von den jeweiligen Technologien erhalten bleiben. An welchen Leitlinien soll sich die Digitalisierung der Arbeitswelt nun ausrichten? Hier wird wissenschaftliche Expertise benötigt, etwa mit Blick auf die Gestaltung von Software und Arbeitsformen, aber auch bei der Fortbildung für neue Arbeitsmethoden. Hochschulen können sich mit diesen Fragen systematisch beschäftigen und mit dem Abstand zu den betrieblichen Abläufen eine wertvolle Sicht von außen einnehmen. Für die Hochschulen ist es wiederum wichtig, im Austausch mit der Industrie konkrete Anwendungsfälle als Paradigmen kennenzulernen – und das wissenschaftliche Arbeiten immer wieder an diesen praktischen Fällen auszurichten.
Wie funktioniert dieses Zusammenspiel konkret?
Ganz wesentlich ist der Austausch von Wissenschaft und Wirtschaft für die Innovationsfelder Mensch-Roboter-Kooperation und für das automatisierte Fahren in der Automobilindustrie. Die Automatisierer im Fahrzeugbereich haben bestenfalls losen Kontakt zur Robotik und umgekehrt. Die Hochschule ist eine ganz wichtige Informationsdrehscheibe und ein Treffpunkt, um sich über verschiedene Einsatzfelder auszutauschen. Aus universitärer Sicht beschäftigen wir uns mit der Frage nach grundsätzlichen Spielregeln der Mensch-Roboter-Kooperation. Wie gehen wir mit der menschlichen Bewegung um? Welche Bewegungen erwarten Menschen von Maschinen, die sich selbst bewegen können? Wir versuchen, allgemeine Regeln zu finden, die für alle Einsatzfelder gelten. Sehr gute Kooperation zwischen den unterschiedlichen Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft sehe ich in der Entwicklung von Forschungs- und Absicherungsmethoden, zum Beispiel beim Training von intelligenten Algorithmen oder der Zustandserkennung beim Menschen.
Ihre Hochschule, die Technische Universität München (TUM), betont ihre Rolle als „unternehmerische Universität“. Was bedeutet das?
Der Begriff der unternehmerischen Universität bezieht sich auf eine Universität, die sich an einem Wertekanon orientiert, eine Universität, die gesellschaftlich wirksam sein und Wissenschaft nicht zum Selbstzweck betreiben will. Mit Blick auf zukünftige Konzepte für die Interaktion zwischen Mensch und Technik bietet die TU München unter anderem den Masterstudiengang „Human Factors Engineering“, der sehr stark von internationalen Studierenden nachgefragt wird. Auch so entstehen natürlich Kontakte zu zahlreichen Forschungseinrichtungen. Im Austausch mit internationalen Studierenden und Wissenschaftlern ist einerseits der wechselseitige Wissenstransfer wichtig. Es gilt aber zugleich, Fingerspitzengefühl dafür zu entwickeln, unter welchen Wertesystemen oder Rahmenbedingungen Arbeit in anderen Kulturkreisen und Wirtschaftsräumen stattfindet.
Welche internationalen Entwicklungen beobachten Sie?
Ich habe den Eindruck, dass das Thema Digitalisierung der Arbeitswelt international mit verschiedenen Geschwindigkeiten angegangen wird, auch mit unterschiedlichen Ansprüchen und unterschiedlicher Wertschätzung. Die deutsche Industrie ist auch deshalb weltweit so erfolgreich, weil sie schon seit Längerem auf digitale Prozesse setzt. Die Digitalisierung wird nicht zuletzt aus volkswirtschaftlichen Gründen vorangetrieben: Welche Innovationen werden benötigt, um international konkurrenzfähig zu sein? Japan steht zum Beispiel demografisch noch stärker unter Druck als Europa oder als Länder mit einer jungen Bevölkerung in Südamerika oder Afrika. Deutschland hat bereits einen sehr hohen Standard in der Digitalisierung erreicht; auch viele mittelständische Unternehmen haben schon digitale Lösungen gefunden. In der internationalen Digitalisierungsdiskussion mit Ansprechpartnern aus Wissenschaft und Wirtschaft fällt mir immer wieder auf, wie sehr Deutschland geschätzt wird. Das gilt insbesondere für den sehr offenen Zugang zu den Hochschulen, aber auch für das praxisnahe duale Bildungssystem.
TU München: International geschätzter Partner
Erst Ende April 2018 führte das Reuters-Ranking die Technische Universität München (TUM) auf Rang sechs der innovativsten Universitäten Europas – und zum dritten Mal in Folge in der Top Ten des Kontinents. Es ist eine von vielen internationalen Auszeichnungen für die deutsche Spitzenuniversität, die auch aufgrund ihrer Stärken in der angewandten Forschung zu den herausragenden deutschen Hochschulen zählt. Als solche ist sie ein geschätzter Partner, etwa in der deutschen Initiative TU9, aber auch durch internationale Vertretungen und Kooperation. Gleich drei der Deutschen Wissenschafts- und Innovationshäuser zählen die TUM zu ihren Hauptunterstützern: das DWIH Neu-Delhi, das DWIH New York und das DWIH São Paulo.
In Indien gestaltet die TUM unter anderem die DWIH-Formate „Science Circle Lecture“ und „Young Innovators“-Dialog mit. Und in Brasilien hat die TUM 2018 – im Jahr ihres 150-jährigen Bestehens – ihre Kooperationen noch einmal intensiviert. Mit der Universidade Estadual Paulista „Júlio de Mesquita Filho“ (UNESP) und der australischen Partneruniversität University of Queensland (UQ) wurde eine trinationale Kooperation aufgebaut, die zu einer globalen Allianz im Bereich der Bioökonomie zusammenwachsen soll.